Ausstellung

CHRISTOPH SCHREIBER: Kopf und Kragen
24.11.2023 - 15.12.2023

«Porträts unseres Daseins in der Welt»

Bekannt wurde Christoph Schreiber in der aufkommenden Digitalisierung der 1990er Jahre mit seinen computerbearbeiteten Fotografien. Schon als Teenager übten die neuesten technischen Errungenschaften und Möglichkeiten auf dem Gebiet der digitalen Bildbearbeitung eine Faszination auf ihn aus, die bis heute anhält. In seinem künstlerischen Schaffen, das auch die Medien Video und Installation umfasst, löst er seit jeher vertraute Objekte und Motive aus ihrem ursprünglichen Kontext und führt sie neu zusammen oder verändert bestimmte Faktoren. Die dadurch entstehenden Unstimmigkeiten irritieren oftmals erst auf den zweiten Blick und lassen die Grenze zwischen Realität und Inszenierung unscharf werden.

Sei es in Fotografien oder Videoarbeiten, die Christoph Schreiber digital manipuliert oder aus verschiedenen Quellen montiert, sei es in Installationen, bei denen er beispielsweise Video und Ton asynchron zusammenfügt – stets handelt es sich um eine Art Collagetechnik, die der Künstler in immer wieder anderer Herangehensweise erkundet und so neue Bildwelten entstehen lässt. In seinen jüngsten Werken führt er diese kontinuierliche Entwicklung fort, ja spitzt sie geradewegs zu. Dabei hat seine Aussage von 2006, in der er seine Bilder als «Porträts unseres Daseins in der Welt» bezeichnet, nach wie vor Gültigkeit. Waren seine früheren, insbesondere fotografischen Arbeiten meist menschenleer, tauchen seit geraumer Zeit figurenartige Wesen, Gesichter oder Köpfe auf. Seit rund drei Jahren formt Schreiber in sorgfältiger und zeitaufwendiger Feinarbeit Gestalten, die er als Collagen direkt an die Wand anbringt oder aber in Kastenrahmen einfügt. Das Material hierfür stammt von Plakaten, die er sammelt oder von im Internet gefundenem Bildmaterial. Aus dem so angehäuften Fundus wählt er einzelne Teile oder Schnitzel aus und setzt sie für seine Arbeiten neu zusammen, eignet sie sich an und deutet sie um. Die Technik der Collage wurde gerade im Surrealismus und Dadaismus aufgrund der absurden Kombinationsmöglichkeiten und des freien Spiels mit dem Zufall genutzt. So zeichnet sich auch Christoph Schreibers Umgang mit Bildern durch seine intuitive, spielerische und lustvolle Vorgehensweise aus. Ein Gesicht, ein Mund oder ein anderes augenfälliges Detail kann ihm als Ausgangspunkt dienen, woraufhin er weiteres Material hinzufügt, umordnet, auswechselt und sich so nach und nach eine neue (Bild-)Erzählung aufbaut. Das Taktile beim Entstehungsprozess hat dabei in den letzten Jahren einen immer wichtigeren Stellenwert eingenommen. Vielleicht als Konsequenz zum Entschwinden der realen Welt in den digitalen Raum – wie es der Künstler selbst beschreibt. Die gefundenen Bilder druckt er oftmals auf Klebefolie. Diese Vorgehensweise hat nicht nur ganz pragmatische Gründe, um die einzelnen Fragmente zu befestigen. Es interessieren ihn dabei ebenso die Beschaffenheit beziehungswiese das eigenwillige, fragile Material, das sich je nach Spannung und Alterungsprozess unterschiedlich verhält und ein Eigenleben zu entwickeln beginnt.

Während die Wandcollagen in ihrer Dimension und Präsentation wie menschliche Gegenüber im Raum fungieren, finden wir uns bei den gerahmten Collagen mittels Spiegelung des Umraums und uns selbst im Glas vielmehr ins Bild miteinbezogen. Schicht um Schicht baut Schreiber eine neue Bildwelt im Rahmen auf, beklebt ihn hie und da mit Papierfragmenten und macht ihn so zum Bestandteil des Bildes. Als Gegenüber lösen die aus Schnipseln zusammengesetzten, kaleidoskopischen Arbeiten bei uns Betrachtenden gewohnte und ebenso verstörende Assoziationsketten aus. Sie sind im Hier und Jetzt verankert und dennoch dem Alltäglichen enthoben. Sie appellieren an unser Unterbewusstsein, sind abgründig, beklemmend und humorvoll zugleich. Die anthropomorphen, grotesken Gestalten erinnern an Figuren aus der Populärkultur, tragen comichafte Züge und nehmen im nächsten Augenblick mythische Dimensionen an. Fast scheinen sie wie fragmentierte Zitate aus der (Kultur-)Geschichte oder auch Metaphern für das sich stetig erweiternde Patchwork, aus dem wir alle unsere Identitäten bilden und immer wieder neu arrangieren.

Patrizia Keller, Dr. phil. Kunsthistorikerin, Zürich, im Oktober 2023

2023_11_24_Werkliste

Häutung, verschiedene Materialien 52,5 x 42,5 cm, 2023
Ausblick, verschiedene Materialien 52,5 x 42,5 cm, 2022/2023
Der Ernst des Lebens, verschiedene Materialien 52,5 x 42,5 cm, 2023
Sozial kompetent, verschiedene Materialien 32 x 26 cm, 2022
Agent Provocateur, verschiedene Materialien 42 x 32 cm, 2021

Katalog