Ausstellung

CORINNE GÜDEMANN: Letztes Licht
27.10.2023 - 11.11.2023

Finissage: Samstag, 11. November 2023, 14 bis 16 Uhr.

Letztes Licht – Zur neuen Malerei von Corinne Güdemann
Eine junge Frau in weissem Kleid schaut die Betrachter an. Das Kleid hat einen stark gefältelten Rock und ebensolche Ärmel, die von zwei Bändern in drei ballonförmige Kugeln zwischen Schulter und Handgelenk geteilt sind. Die Hände halten einen Kelch, Symbol für Austausch und Fruchtbarkeit.

Die Frau trägt das Haar offen, keine Haube – sie ist offenbar unverheiratet – und hat es nach hinten geflochten. Der Blick der jungen Dame geht nach rechts, also nicht direkt in unsere Augen. Und unser Blick ist beim Betrachten der jungen Frau von gemalten Spieglungen auf dem Bild im Raum zurückgeworfen. Wir können die symbolischen Zeichen, die in der Renaissance-Zeit in der Porträtmalerei für die Deutung der Person wichtig sind, kaum erkennen. Nur das Kreuz, das sie als Anhänger auf ihrer Brust trägt, ist im Bild «A Lady (Anonymous)» (2023) von Corinne Güdemann klar ersichtlich. Der über der Lady gespiegelte Raum sorgt dafür, dass sich die junge Frau gar nicht so einsam im Bildraum fühlt, sondern mit ihrem Trinkbecher in den Händen darauf wartet, dass ihr jemand im gespiegelten Raum entgegenkommt und sich mit ihr unterhält.

Auch der Figur von Lucas Cranach ist ein ähnliches Schicksal in einem weiteren Bild von Corinne Güdemann beschieden. Das im königlichen Kunstmuseum von Brüssel hängende Bild zeigt einen hellen Lichthof über dem Gesicht des Mannes im dunklen Pelzmantel. Das Porträt des Magdeburger Theologen Dr. Johannes Scheyring, ein von Cranach posthum im Jahr 1529 angefertigtes Porträt des Gelehrten zeigt den Mann im Bild «Cranach und ich» (2023) mit einer Spiegelung des Innenraums, so dass sich Oblichter, Fenster, Boden und gar ein Teil des Körpers der Betrachterin vor dem Bild über dem dunkelroten, mit Pelz verbrämten Mantel legen. Das Mischen der verschiedenen Räume im Bild ist eines der Markenzeichen von Corinne Güdemanns Malerei.

Das Porträt ist eines der ältesten Genres in der europäischen Malerei. Eine neue Entwicklung war in der Zeit der Renaissance zu erleben, als die Gesichter in den Porträts nicht mehr schematisierten Figurendarstellungen folgten, sondern das Gesicht erkennbar eine Person darstellte. Von diesen Porträts ist Corinne Güdemann inspiriert. Die Malerin verkehrt jedoch die Entdeckungen der Renaissance wie Raumperspektive oder individuelle Züge in eine Transformation des Porträts mit Spiegel- und Licht-Effekten des Ausstellungsraumes, in denen sie die Porträts gesehen hat. Beleuchtung, Wandbemalung, Böden und Raumöffnungen überlagern die Porträts, oft an den zentralen Stellen – im Gesicht oder im repräsentativen Kleid.

Corinne Güdemann ist eine Malerin, die die Techniken und Genres ihres Mediums von Grund auf studiert hat und durch die lange Erfahrung mit dem Malen und den Farben Freiheiten und Spielmöglichkeiten ausnützt. Diese stellen die alten Genres wie Porträt und Landschaft in neue Kontexte, die einerseits wiederum mit Malerei zu tun haben, andererseits auch mit einer Zusammenschau von allen heutigen Techniken und Medien aus dem Kunst- und Medienbetrieb wie die Spiegelung eines Bildschirms oder eines Glases vor einem musealen Meisterwerk. Ihre Malerei in dünnen, lasierenden Schichten verrät von dem lang andauernden Prozess, in dem ihr Champagner Kreiden helfen, einzelne Stellen pastoser zu malen. Corinne Güdemann zielt in diesen unterschiedlichen Schichten einen Durchblick durch die Malerei an, um ein Gleichgewicht zwischen Sujet und der Malerei selbst zu erreichen. «Durchblicke im Bild haben mich aus diesem Grund immer interessiert», sagt die Künstlerin vor dem Werk «The Birds of Bantry House», das eine Vitrine mit ausgestopften Vögeln in einem Innenraum mit grossen Fenstern zeigt.

Auch in der Landschaftsmalerei wählt Corinne Güdemann Sujets, welche das Schöne oder Erhabene eines Landstrichs, wie wir sie aus der Fotografie für touristische Werbung kennen, brechen. Das kleine Landschaftsbild «Lovely Weather for Ducks» (2023) zeigt dies auf wunderbare Weise. In dem Bild dominiert Regen, wettergemäss die Farbe Grau. Die rechte untere Bildecke zeigt einen Ausschnitt aus einer Gartenlandschaft, die durch den Blick aus dem Fenster angerissen wird. Der Regen ist stark und ist in hellen Strichen zu sehen. Zudem sammeln sich auf der Fensterscheibe die Wassertropfen. Das Beet mit den Bäumen im Park ist nur andeutungsweise zu sehen. Der Reiz des Bildes ist somit das Verdecken der Landschaft durch das Wetterphänomen, das im Bild die Hauptrolle spielt und das Perlen, Tropfen und Streifen im Aussenraum ins Zentrum stellt. Die Künstlerin setzt diese Phänomene mit ihren technischen Möglichkeiten in der Malerei auf nachvollziehbare Weise um. «Sportplatz» (2023) zeigt eine städtische Landschaft in der Abenddämmerung. Der rote Abendhimmel über der Stadt ist rötlich-violett gefärbt, ist aber von der Farbatmosphäre der Lichter in der Stadt – Strassenlampen, Beleuchtung eines Sportplatzes, Lampen in den Wohngebäuden  – in der unteren Bildhälfte abgestützt. Das Hell und Dunkel in der abendlichen Landschaft wird so zu einem malerischen Thema, wo das Licht gerade in der Dunkelheit als wichtiges Bildelement steht.

Ein Thema, das die Künstlerin seit mehreren Jahrzehnten interessiert, ist die Verbindung von Landschaft und Wohnraum, oft ohne Menschen oder nur in Spiegelungen da. In ihrer seit 2012 fortgeführten Werkserie malt die Künstlerin Hotelzimmer in Italien und Irland, die sie selbst bewohnt hat: mit dem Blick aus dem Fenster auf die dahinterliegenden Stadt- oder Gartenräume. Der Blick aus dem Fenster ist seit der Romantik ein viel gestalteter Topos und setzt den Menschen als wahrnehmendes Wesen der Natur in den Fokus. Der Blick auf die Natur durch die architektonische Rahmung weist darauf hin, dass Natur nur immer als Ausschnitt in Verbindung mit dem Sehenden erfasst werden kann. Corinne Güdemann steigert diesen Umstand noch, indem sie Spiegelelemente in den Räumen einfügt, die wiederum neue Perspektiven und Ansichten der Zimmer anreissen. Somit ist der Innenraum – durch Mobiliar, Fenster, Vorhänge und Tapisserien eh ein komplexer Kosmos – durch die Spiegelsituationen komponiert und verdichtet.

Die Spiegelung zeigt in den neuen Werken der Künstlerin nie den Menschen, der das alles sieht, also die Künstlerin selber. Diese Zurückhaltung ist ein Zeichen dafür, dass sie ihren eignen Blick in die Mehrschichtigkeit ihrer Malerei legt. Die Spiegel und Glasscheiben sind in diesen Arrangements ein wichtiges Element, Räume polyphon zu gestalten und den festen architektonischen oder landschaftlichen Kontext für unsere Wahrnehmung offener zu machen. Letzte Lichter zwischen den Schichten der Malerei.

Sibylle Omlin, im September 2023

Finissage: Samstag, 11. November 2023, 14 bis 16 Uhr.

Fenster zum Park, Oel auf Baumwolle, 500 x 600 mm, 2
Show me the Way to the next Whiskey Bar, Oel auf Sperrholz, 840 x 600 mm, 2023
Nach dem Regen (Aran Islands), Oel auf Baumwolle, 1200 x 1600 mm, 2023
Lärche, Oel auf Baumwolle, 1200 x 900 mm, 2022
Im Spiegel I, Oel auf Sperrholz, 600 x 460 mm, 2023
Im Spiegel II, Oel auf Sperrholz, 595 x 420 mm, 2023
Cranach und ich, Oel auf Sperrholz, 595 x 420 mm, 2023
Corot in Dublin, Oel auf Sperrholz, 600 x 460 mm, 2023

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